Filmpreisverleihung und queeres ukrainisches Kurzfilmprogramm

Die beiden queeren Filmfestivals in Freiburg, die Freiburger Lesbenfilmtage und die Schwule Filmwoche Freiburg, gestalten am Freitag, 30. September 2022, im Kommunalen Kino ein gemeinsames Programm.

Um 17.30 Uhr präsentieren sie ein etwa 90-minütiges queeres Kurzfilmprogramm aus der Ukraine mit dem Namen NICHTS ÜBER UNS OHNE UNS (НІЧОГО ПРО НАС БЕЗ НАС). Kuratiert wurde es von Bohdan Zhuk, Programmer des queeren Wettbewerbs beim Internationalen Film Festival „Molodist“ in Kiew. Es zeigt sechs Produktionen von jungen queeren Filmschaffenden, die das Potenzial haben, eine wichtige Kraft in der ukrainischen und internationalen Filmwelt zu werden.


НІЧОГО ПРО НАС БЕЗ НАС – УКРАЇНСЬКІ КВІР – ФІЛЬМИ
NICHTS ÜBER UNS OHNE UNS – UKRAINISCHE QUEERE FILME

Kuratiert von Bohdan Zhuk ( Molodist Kyiv International Film Festival)
Gesamtlänge: 91’

Das ukrainische queere Kino hat keine lange Geschichte. In den wenigen ukrainischen Filmen aus der Sowjet-Ära, die gedreht werden durften und nicht jahrzehntelang von der strengen Zensur unterdrückt wurden, finden sich allenfalls subtile Andeutungen oder Untertöne von Queerness (oder überhaupt von Sexualität). Jegliche Manifestation von „Andersartigkeit“ war im imperialistischen Unterdrückungsapparat kaum vorstellbar, und zu dieser Andersartigkeit gehörte auch jegliches Anzeichen einer ukrainischen nationalen Identität, die als schädlicher Nationalismus angesehen wurde. Dasselbe Narrativ zieht sich durch die aktuelle kolonialistische Politik Russlands gegenüber der Ukraine, die nun einen antikolonialen Krieg führt.

Deshalb gibt es Parallelen zwischen der ukrainischen Queerness und der ukrainischen Identität im weiteren Sinne, denn in beiden Fällen geht es um den Kampf um Handlungsfähigkeit und das Leben selbst. LGBTIQ+ Menschen schließen sich den Reihen des Militärs, der Freiwilligen und anderer Kämpfer*innen für die Existenz der Ukraine an, und ihre Einheit ist ein Zeichen der Hoffnung.

Mit dem Aufschwung des ukrainischen Films in den letzten Jahren ist auch das queere Kino zu einem bemerkenswerten und untrennbaren Bestandteil dessen geworden. Dieses Programm repräsentiert neue queere ukrainische Stimmen, die das Potenzial haben, eine wichtige Kraft in der ukrainischen und internationalen Filmwelt zu werden. Da die meisten Filmproduktionen
durch den Krieg zum Stillstand gekommen sind, ist die Zukunft ungewiss und sie brauchen Unterstützung, damit ihre Stimmen nicht verstummen.

(Text: Bohdan Zhuk)

https://war.ukraine.ua/support-ukraine
https://ilga-europe.org/news/support-lgbti-people-ukraine

Kittens
Zhanna Ozirna, Ukraine 2017, 9’, ukrainische Originalfassung mit englischen oder deutschen Untertiteln
Zwei Frauen sprechen in einer alten Lemberger Wohnung über ihre gemeinsame Zukunft. Zukunftsträume kollidieren mit gesellschaftlichen Normen und Bräuchen: Können wir uns Freiheit wenigstens im Privaten leisten, ohne sie durch Haustiere ersetzen zu müssen?

Aftertaste
Yura Katynskiy, Ukraine 2017, 20’, ukrainische Originalfassung mit englischen oder deutschen Untertiteln
Ein Mann kommt zurück in die Kleinstadt. Zusammen mit alten Freunden hat er eine gute Zeit und sie steigen zu einem Fremden ins Auto. Diese spontane Aktion entpuppt sich als Chance, sich näher zu kommen und sich selbst zu finden.

The Wonderful Years
Svitlana Shymko, Halyna Yarmanova, Ukraine 2018, 9’, russische Originalfassung mit englischen oder deutschen Untertiteln
Der Recherchefilm erforscht das Leben von queeren Frauen in der Ukraine in der späten Sowjetunion, mit Archivvideomaterial und Interviewausschnitten aus Forschungsprojekten zur LGBT-Geschichte.

Goodbye Sveta
Nastya Kanareva, Ukraine 2020, 20’, ukrainisch-russische Originalfassung mit englischen oder deutschen Untertiteln
Nach Beginn seiner Transition wird Soldadu von Rechtsextremisten zusammengeschlagen und vom russischen Geheimdienst FSB verfolgt. Er flieht in die Ukraine und beantragt dort Asyl. Der Prozess dauert fast drei Jahre und währenddessen lassen ihn die Geister der Vergangenheit nicht los.​

Chacho
Vitaliy Havura, Ukraine 2020, 20’, Originalfassung in Romani und Ukrainisch mit englischen oder deutschen Untertiteln
Yanush ist in einer konservativen Roma-Gemeinschaft in einer ukrainischen Kleinstadt aufgewachsen. Er steht kurz vor der Heirat, genau das, was seine Eltern wollen. Doch Yanush ist schwul und in Pascha verliebt. Gemeinsam beschließen sie, die Stadt zu verlassen, aber kann Yanush das wirklich tun?

The Secret, the Girl and the Boy
Oksana Kazmina, Ukraine 2018, 13’, russische Originalfassung mit englischen und deutschen Untertiteln
Ein Mädchen und ein Junge erschaffen ihre eigene Art der Interaktion mit der Welt. Die sozialen Konstrukte der Erwachsenen werden dabei Teil der bizarren Kinderfolklore. In der Welt von „Mädchen“ and „Junge“ gibt es Geheimnisse und viele Möglichkeiten des Seins.


Um 20.00 Uhr gibt es dann ein besonderes Highlight: die Verleihung des mit 5000 € dotierten QueerScope-Debütfilmpreises, einer seit 2016 alljährlich vom Dachverband der unabhängigen, queeren Filmfestivals im deutschsprachigen Raum vergebenen Auszeichnung.

Dieses Jahr begeisterte die schwedisch-norwegische Spielfilmproduktion SO DAMN EASY GOING die Programmverantwortlichen der 21 queeren Filmfestivals am meisten. Sie ist das Spielfilmdebüt des Regisseurs Christoffer Sandler nach einer Romanvorlage der schwedischen Schriftstellerin und Astrid-Lindgren-Preisträgerin Jenny Jägerfeld.

Zur Handlung: Die 18-jährige Schülerin Joanna hat eine Lightshow im Kopf. Und die Tabletten, die sie nehmen muss, um ihre Hyperaktivitätsstörung im Zaum zu halten, sind fast leer. Joana wird immer unruhiger. Sie hasst es, mit ihrer Nervosität aufzufallen. Nun braucht sie dringend Geld für ein neues Rezept. Von ihrem Vater, der den ganzen Tag vor dem Fernseher verbringt, ist da nichts zu erwarten. Doch ihr Nebenverdienst mit dem Verkauf von Kondomen an Mitschüler*innen bringt nicht genug ein. Vielleicht könnte ihr Freund Matheus aushelfen. Aber den möchte Joanna eigentlich lieber auf Abstand halten, denn sie hat gerade ihre neue Mitschülerin Audrey kennengelernt, zu der sie sich seltsam hingezogen fühlt…

Der Film eröffnete in diesem Frühjahr das Göteborg International Filmfestival und überzeugt als zarte Lovestory durch seine eindringliche und doch leichte Erzählweise und die schauspielerische Leistung der beiden Newcomerinnen Nikki Hanseblad und Melina Benett Paukkonen in den Hauptrollen. Regisseur und Co-Autor Christoffer Sandler setzt überraschende visuelle und akustische Effekte ein, um die unkontrollierbare Kakophonie von Licht und Geräuschen darzustellen, die viele Menschen mit ADHS jeden Tag ertragen müssen. Mit SO DAMN EASY GOING ist ihm ein charmantes Coming-of-Age-Drama gelungen über die Liebe und den Mut, man selbst zu sein.

Vor der Vorführung des Films, der in Freiburg als Deutschlandpremiere in der schwedischen Originalversion mit deutschen Untertiteln gezeigt wird, werden die beiden Freiburger queeren Filmfestivals den 7. QueerScope-Debütfilmpreis in Form einer gravierten Kameralinse im Kommunalen Kino Freiburg feierlich an den ​Regisseur Christoffer Sandler und die Hauptdarstellerin Nikki Hanseblad überreichen. Außerdem werden als Vertreterinnen der Stadt Freiburg die Leiterin der Geschäftsstelle Gender & Diversity Dr. Sulamith Hamra sowie die Gemeinderätin Lina Wiemer-Cialowicz den Preisträger*innen Glückwünsche aussprechen. Danach werden der Regisseur und die Hauptdarstellerin noch für Fragen aus dem Publikum zur Verfügung stehen und interessante Einblicke in die Hintergründe zu SO DAMN EASY GOING geben.

Den musikalischen Rahmen der Preisverleihung gestaltet das BAD MOUSE ORCHESTRA mit queeren Songs aus den Goldenen 1920ern mit Ukulele, Gitarre und Gesang. Im Anschluss an das Filmgespräch lassen die Veranstalter*innen den Abend gemeinsam ausklingen bei Musik, Häppchen und guten Gesprächen.

https://queerscope.de/filmpreis
https://salzgeber.de/easygoing
http://www.herzogrecords.com/de/artist/bad-mouse-orchestra